Coronakrise: Die Stunde der Scharlatane

Dubiose Experten versuchen, die Coronakrise für ihre Botschaften zu nutzen. Viele Menschen wollen ihnen jetzt gerne glauben.
Virologen und andere Wissenschaftler haben jetzt viel zu sagen – über mögliche Ansteckungswege und die weitreichenden Folgen von Covid-19. Nicht alle sind mit den laufenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise einverstanden, nicht immer ist die Wissenschaft derzeit einer Meinung – das ist logisch angesichts der raschen Ausbreitung und dem vorläufigen Fehlen von Studien. Doch während seriöse Experten sachlich und faktenbezogen argumentieren, machen sich über Online-Plattformen eine Reihe von dubiosen „Fachkräften“ mit beschwichtigenden Botschaften breit. Alles sei gar nicht so schlimm, hinter der Panik stecke irgendetwas anderes, die Politik nutze die Situation aus – so die Aussagen dieser Pseudoexperten.
Zu den Vertreterinnen der Gattung Verschwörungstheorie, die sich gegen alles und jeden richten kann, zählt die frühere deutsche TV-Moderatorin Eva Herman, die mit ihrem Buch „Das Eva-Prinzip“ von einer „neuen Weiblichkeit“ träumte und auch über die Rolle von Frauen im Dritten Reich so ihre eigenen Ideen hatte. In einem selbstgebastelten Fernsehstudio für ihre „Wissensmanufaktur“ macht sie heute auf seriöse Journalistin, zuletzt hat sie unter dem Schlagwort „Krieg gegen die Bürger: Coronavirus ein Riesenfake?“ mit Wolfgang Wodarg gesprochen. Was jetzt los sei, sei von „Virologen angezettelt“ worden, meint dieser ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, der auch einmal Gesundheitsamtsleiter war und heute mit kruden Botschaften auffällt. Die Essenz seiner Ausführungen: Alles gar nicht so schlimm! Der Virus sei immer schon da gewesen und gar nichts Neues.
Das Fatale an seiner Botschaft: Wenn seine Anhänger die Folgen des Coronavirus nicht ernst nehmen, könnten sie sich (und was noch schlimmer wäre) andere Menschen gefährden – unter Wodargs Anhängern finden sich auffallend viele ältere Menschen, die bekanntlich zur Hochrisikogruppe zählen. Geteilt werden Hermans und Wodargs Theorien vor allem von Kanälen und Plattformen aus der Esoterik-Ecke und dem rechten Milieu. Wissenschaftlich ist längst erwiesen, dass Wodarg sich immer nur jene Fakten herauspickt, die für seine Botschaft genehm sind.
Ein weiterer, der sich gegen die angebliche Corona-Panik ausspricht, ist Rüdiger Dahlke, oder besser „Dr. Rüdiger Dahlke“. Er ist Arzt und Psychotherapeut, allerdings bei seinen Kollegen umstritten. Dahlke beschäftigt sich mit Astrologie, Homöophathie und anderen pseudowissenschaftlichen Bereichen. Er ist zum Beispiel der Meinung, der Mensch könnte sich alleine von „Lichtnahrung“ ernähren und Menschen würden Unfälle unbewusst selbst verursachen. In seinen Videos verneinte er bereits mehrmals die Gefahr, die von Covid-19 ausgeht. Die Letalität in Ländern wie Deutschland oder Österreich sei null, hieß es beispielsweise in einem seiner Videos, das Anfang März online gestellt wurde. Es gebe derzeit einfach Inszenierungen. „Lassen wir uns in diese inszenierte Panik hineinversetzen?“. Ob man in Norditalien jetzt auch solche Botschaften zu schätzen weiß?
Ans Licht der Öffentlichkeit drängen jetzt jene, die sich selbst und ihre Anhänger für resistent gegen Fakten, Keime und Panikmache halten. Zum Beispiel ein gewisser „Dr. Leonard Coldwell“, der gegen die „Lügen der Ärzte“ schreit und damit in Europa ganze Hallen füllt. Er behauptet, Krebs mit gänzlich alternativen Methoden zu heilen. Dr. Coldwell heißt in Wirklichkeit Bernd Klein und war mal Motivationstrainer. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass es ihn und seine Fans immer wieder in Richtung rechtsextremer Tendenzen zieht. Ebenfalls in die Kategorie der Placebo-Apostel fallen unter anderem auch Heiko Schrang („Meine Homepage wurde gesperrt!“) und der Rechtsausleger Oliver Janich.
Über WhatsApp-Kettenbriefe, YouTube und Facebook werden die Heilsbotschaften versendet und stoßen auf fruchtbaren Boden. Dahinter steckt oft nicht mehr als Geschäftemacherei: YouTube-Kanäle mit vielen tausend Fans bringen Kohle, ebenso seltsame „Therapien“ mit Wundermitteln – etwa eines Wiener Kinderarztes, der Flaschen als Heilmittel bewirbt. Natürlich dürfen auch Astrologen nicht fehlen, wenn es um die (Um)Deutung von Fakten geht.
Das Problem: Sachliche Kritik an Corona-Maßnahmen, etwa die Einschränkung von Grundrechten oder die Vorgangsweise der Polizei in vielen Regionen, wird mit solchen Verschwörungstheorien erschwert. Dabei wäre ehrlicher Dialog nun wichtiger als je zuvor. Doch mit Fakten oder Zahlen braucht man den Aufdeckern einer angeblichen Corona-Verschwörung und den Esoterikern gar nicht erst zu kommen. Man braucht auch gar nicht zu versuchen, Argumente wie die drohende Belastung des Gesundheitssystems zu bringen oder dass es je nicht nur um das Risiko des Einzelnen geht, sondern um die Verhinderung einer raschen Ausbreitung. Gemeinsam ist solchen Botschaften jedenfalls, dass sie vor allem jene Menschen ansprechen, die hinter vielen Tatsachen eine politische Verschwörung, einen geheimen Krieg gegen Bürger oder dubiose Machenschaften der Industrie vermuten – oft gekoppelt mit einer allgemeinen Abneigung gegen wissenschaftliche Fakten (Motto: “Wir sollten fragen, was wirklich dahinter steckt.“) und Politiker. Es ist nicht erstaunlich, dass sich die Menge der Klimawandel-Leugner und jene der Corona-Scharlatane deutlich überschneidet.