Virologe Hendrick Streeck: “Gibt keine Gefahr, beim Einkaufen jemand anderen zu infizieren”

Virologe Hendrick Streeck: “Gibt keine Gefahr, beim Einkaufen jemand anderen zu infizieren”
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der Virologe Hendrick Streeck sagt, das Hauptproblem in der aktuellen Diskussion seien fehlende Daten und Fakten, um Entscheidungen zu treffen. Die Wirkung der Maßnahmen vor der Kontaktsperre sei nicht ausreichend überprüft worden, außerdem fehlen Richtlinien für eine Exit-Strategie.

Hendrick Streeck ist Direktor des Instituts für Virologie und er war vor Ort im NRW-Landkreis Heinsberg, jener Landkreis, der besonders stark vom Coronavirus betroffen ist. Somit ist Streeck jener Wissenschaftler, der am meisten COVID-19-Patienten überhaupt gesehen hat.

Am Mittwoch war Streeck zu Gast bei Markus Lanz im ZDF und erzählt dort, warum das Coronavirus nicht über Türklinken, Handys übertragen wird und auch warum eine Maskenpflicht eigentlich wenig bringt und warum teilweise zu vorschnell gehandelt wurde. Zudem findet er den schwedischen Weg als einen, der “nicht verkehrt ist”.

Hendrick Streeck über,..

seine Zeit in Heinsberg…

… wir wurden vom Gesundheitsamt in Heinsberg gebeten, ob wir die Diagnostik für einige Zeit übernehmen könnten. Ich habe mich dann mit einem Freund aus der Inneren Medizin zusammengesetzt und wir fanden, dass dies eine Chance ist für uns, die Erkrankung besser zu verstehen. Wir haben über Nacht die Studie zusammengestrickt und sind dann am nächsten Tag zusammen mit der Hygiene in Bonn, rausgefahren. Wir sind dann von Haushalt zu Haushalt gefahren. Und haben die Leute nach Symptomen gefragt. Wir haben gefragt, wie sie sich vielleicht infiziert haben könnten, wir haben Abstriche gemacht und Blutproben entnommen.

Wir haben getestet, ob das Virus auf den Türklinken ist, auf dem Handy, der Fernbedienung, auf den Katzen. Wir sind über mehrere Tage von Haus zu Haus gegangen und haben uns mit den Leuten unterhalten. Ein Forschungsergebnis ist, dass fast alle über Geruch- und Geschmacklosigkeit berichten. Das ist nicht dauerhaft, aber es war ein Symptom, das davor noch nicht aufgefallen ist. In einigen Fällen werden andere Nerven angegriffen, einige berichten über kurze Zeit über Taubheit, das haben wir allerdings nicht beobachtet.

… wo die meisten Viren sind

Wir haben Viren nachgewiesen auf Türklinken oder auf der Toilette. Wir haben dann in der Virologie diese Abstriche genommen und haben versucht, das Virus anzuzüchten, um zu schauen, ob das Virus wachsen kann, ob das Virus infektiös ist. Das konnten wir aber nie. Das bedeutet, dass wir die RNA von toten Viren nachgewiesen, aber kein lebendes Virus rausbekommen haben.

… ob vom Obstkorb im Supermarkt, der Katze oder dem HAndy eine Gefahr ausgeht

Das wird in der neuen Studie, die wir jetzt aufgesetzt haben, damit wir eine repräsentative Stichprobe auch in diesem Bereich haben. Nicht nur bei der Dunkelziffer. Um wirklich genau zu sagen, wo sich der Virus befindet und wo nicht. Aber für mich sieht es derzeit danach aus, dass eine Türklinke beispielsweise nur dann infektiös sein kann, wenn vorher jemand gehustet hat und dann mit der Hand darauf gegriffen hat und man unmittelbar danach auch wieder auf die Türklinke gegriffen hat. Eine Zeitstudie ist noch nie durchgeführt worden, aber wir waren in einer Wohnung, wo viele infizierte Personen gelebt haben und haben auf der Türklinke keine Viren darauf gehabt.

… ob das oftmalige Händewaschen tatsächlich hilft

Davon bin ich überzeugt. Generell wird sehr viel über Spekulation und Modellrechnungen gesprochen. Aber da muss nur ein Faktor einer mathemtischen Rechnung falsch sein, dann fällt das ganze Kartenhaus zusammen. Wichtig ist es, man muss Fakten schaffen und darauf dann Entscheidungen treffen kann.

… ob das Robert Koch Institut (RKI) ebenfalls untersucht hat

Nein, das hat mich selbst gewundert, dass die das nicht gemacht haben. Wir dachten immer, dass das eine Aufgabe des RKI, so etwas zu machen, weil sie ja auch Empfehlungen an die Hand geben, wen man testen soll und wen nicht. Als ich dann gehört habe, dass das Robert Koch Institut so eine Studie nicht macht bzw. nicht gemacht hat, fand ich das als Pflicht als Virologe, das man das eigentlich machen sollte. Ich könnte mir natürlich auch gut vorstellen, meinen normalen Arbeitsweg jeden Tag zu machen, das ist natürlich eine extreme Mehrbelastung. Aber so eine Studie muss gemacht werden, dass wir für die Politik und die Bürger Antworten finden.

… ob Entscheidungen zu schnell getroffen werden und ob der Shutdown zu schnell getroffen wurde

Im Nachinein kann man immer sagen, man weiß es besser. Aber als dieser Moment gewesen ist, dass eine Maßnahme nach der anderen umgesetzt wurde. Ich weiß gar nicht mehr welche Maßnahme das war. Zur Ausgangsbeschränkung hab ich gesagt, man sollte erstmal abwarten und schauen, was passiert. Das Virus gehorcht keinem Politiker und keinem Menschen. Was heute beschlossen wird, sehen wir als Ergebnis erst in zwei Wochen. Jetzt fangen wir so langsam an -vielleicht, wir wissen es nicht – Ergebnisse von den ersten Maßnahmen zu ziehen. Man muss dem Virus Zeit lassen, um einordnen zu können, was funktioniert und was nicht. Genau so würde ich es nicht richtig finden, alles zurückzuziehen und sagen: “Es hat alles funktioniert.” Jetzt sind wir in dieser Situation, wie wir das Virus oder Infektionsraten steuern hätten können.

… welches Land das Virus bisher am besten in den Griff bekommen hat.

Ein wirklich guter Weg, war jener in Südkorea. Die haben ganz viel getestet. Wenn sie ein Cluster gefunden haben, wo Leute positiv getestet wurden, wurde dort eingedämmt. Da wurde aber nicht im ganzen Land die Ausgangssperre verhängt. Es wurden die Kontakte nachvollzogen und dann eingedämmt. Das war eine sehr gute Strategie und auch eine Strategie, die für Deutschland gangbar wäre, weil wir die Möglichkeit haben zu testen.

Die Gefahr ist bei diesem Virus, wenn es in Krankenhaus oder in Altenheime kommt. Das sieht man am Beispiel von Wolfsburg, Würzburg oder in Italien. Damit muss man sich beschäftigen. Für einen Teil der Bevölkerung ist es wirklich gefährlich. Wie wir die besser schützen können. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, das ganze Pflegepersonal, alle Beschäftigten alle sieben Tage getestet werden. So könnte man Pflegeheime schützen.

… über seinen Virologenkollegen Christian Drosten, der derzeit in aller Munde ist, wenn es um den Coronavirus geht.

Herrn Drosten schätze ich sehr. Wir alle Virologen arbeiten anders. Herr Drosten arbeitet sehr Virus zentriert. Er schaut sich an, was das Virus so besonders macht. Wie kam das von der Fledermaus in den Menschen? Meine Arbeit ist, was macht das Virus mit den Menschen. Wie reagiert das Immunsystem darauf. Was Herr Drosten kann, kann ich nicht so gut wie er kann und was ich kann, kann Herr Drosten nicht so gut wie ich. Da ist auch keine Konkurrenz, man hat sein eigenes Spezialgebiet. Ich finde es schade, dass die Bundesregierung da sehr monologisch rangegangen ist.

… wie es nach dem Virus weitergeht

Ich bin Virologe und nicht Fachmann für Wirtschaft oder Ethik. Ich habe auch meine persönliche Meinung dazu, was ich von einzelnen Maßnahmen halte. Wenn ich als Bürger rede, ist für jeden anderen wichtig, abzuschätzen, wo sind die eigenen Grenzen. Wir hatten mit vielen Viren zu tun. Ich sehe, was so eine Ausgangsbeschränkung macht. Ich habe Freunde, die sich fragen, ob sie danach noch einen Job habe. Wenn ich das in das Verhältnis zu anderen Epidemien setze, finde ich die Einschränkungen jetzt schon ganz schön drastisch. Ich kann das nicht abschätzen, aber ich hätte mir gewünscht, wenn so eine Maßnahme ergriffen wird, dass man da nicht so heftig reagiert, sondern gemeinsam überlegt, wo will man denn eigentlich hin.

Unsere Grenze ist die Anzahl der Kapazitäten in den Krankenhäusern. Es ist nicht die Anzahl der Infizierten. Wir haben nie gehört, was unsere Richtschnur ist. Sind 1.000 zu viel, sind es 100 ist eine zu viel. Ganz eindämmen können wir es nicht. Anstatt zu zählen, wie viele Neuinfektionen wir haben, müssen wir auf die Intensivmediziner hören, die sagen, hier ist unsere Grenze. Die können sagen, welche Maßnahme ist die richtige und welche nicht.

… eine Exitstrategie, wie die aussehen könnte

Ich persönlich halte es für extrem wichtig, über eine Exitstrategie zu sprechen. Darum haben wir die Studie injiziert, um Fakten zu schaffen. So viele waren infiziert und das ist eigentlich die Sterblichkeitsrate. Was sind eigentlich die Infektionswege, wo es wirklich etwas bringt, diese zu vermeiden. In welchen Bereichen macht es Sinn, die Maßnahmen zu ergreifen und in welchen nicht. Wir haben noch nie von Infektionen in Friseursalons gehört. Jetzt sind die aber zugesperrt.

… warum Supermärkte geöffnet sind und Bekleidungsgeschäfte nicht

Wir wissen nicht, dass darüber je Infektionen stattgefunden haben. Ich finde es als Wissenschaftler und Virologe einfach wichtig, dass man sich am Ende darauf besinnt, was wissen wir und was wissen wir nicht. Wir wissen relativ gut, dass es keine Schmierinfektion ist. Wir wissen, dass eng beieinander tanzen und feiern, dass es dort viele Infektionen gegeben hat. Jetzt geht es eigentlich darum die Nuancen dazwischen zu finden, wann kann eine Infektion stattfinden und wann nicht. Das muss eine Richtschnur sein, um bestimmte Maßnahmen zurücknehmen zu können.

… was Schweden macht.

Ich finde die Schweden, das ist gewagt, was sie in dem politischen Umfeld machen. Jede andere Regierung geht einen drastischeren Weg. Sie machen das in meinen Augen nicht verkehrt, weil wir wissen, wie das Virus übertragen wird. Das ist Nähe und Zeit mit einer infizierten Person. Wenn man beim Reden nah beieinander sitzt und sich beim Reden vielleicht leicht anspuckt, dann findet eine Infektion statt. Die Schweden appellieren, Abstand zu halten, keine großen Gruppen zu haben, aber der normale Alltag geht weiter. Sie sollen aufeinander Acht geben. Wenn man jemand sich krank fühlt, dann bleibt er zuhause. Ich weiß nicht, was passieren wird, aber von den Überlegungen fand ich es nicht abwegig, dass die Schweden diesen Weg gegangen sind.


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